Acis und Galatea



Acis und Galatea


Inventar Nr.: GK 691
Bezeichnung: Acis und Galatea
Künstler: Johann Heinrich d. Ä. Tischbein (1722 - 1789), Maler/in
Datierung: 1758
Geogr. Bezug: Kassel
Material / Technik: Leinwand, doubliert
Maße: 40,8 x 47 cm (Bildmaß)
Provenienz:

im Auftrag von Landgraf Wilhelm VIII.

1792 Schloss Weißenstein, Erdgeschoss, Eckkabinett

1804 Schloss Wilhelmshöhe, Weißensteinflügel, Erdgeschoss, Eckkabinett

1815 Schloss Wilhelmshöhe, Kirchflügel, Zweites Kabinett

1824 Schloss Wilhelmsthal

1829 Gemäldegalerie

1864 Schloss Bellevue

1877 u. 1934 Neue Gemäldegalerie

Beschriftungen: Signatur: bez. u.l. (an einem Stein): JH Tischbein (Initialen ligiert) Pinx 1758


Katalogtext:
Der literarische Stoff des Gemäldes stammt wie beim Pendantbild »Jupiter und Kallisto« (1875/722) aus Ovids »Metamorphosen« (XIII, 779-883). Die Nymphe Galatea hat sich in den Schäfer Acis verliebt, der ihre Gefühle erwidert und damit heftige Eifersucht bei dem Riesen Polyphem auslöst. Als dieser die Nymphe in den Armen seines Rivalen entdeckt, schleudert er erzürnt einen Felsbrocken auf Acis und tötet ihn.
Tischbein d. Ä. hat den Moment dargestellt, der dem Wutausbruch des Zyklopen unmittelbar vorausgeht. Acis und Galatea haben sich im Schutz eines von Pflanzen überwucherten Felsens niedergelassen und tauschen Zärtlichkeiten aus. Etwas oberhalb der beiden erscheint frontal der bedrohlich wirkende Riese Polyphem, der sich im dichten Laubwerk versteckt hält und die Szene belauert. Dessen zur Faust geballte rechte Hand signalisiert seine vor Eifersucht rasende Wut.
Die ausgewogene Komposition mit den Figuren im Vordergrund und die Behandlung von Galateas zartem, hellem Inkarnat, das sich kontrastreich von der sonnengebräunten Haut des Acis abhebt, ist typisch für Tischbeins frühe Historienbilder. Die Pendants sind symmetrisch aufeinander abgestimmt: Während Jupiter und Kallisto als nach links verlaufende Diagonale ins Bild gesetzt sind, nehmen Acis und Galatea diese Diagonale nach rechts auf. Indem Tischbein hier allein die drei Hauptfiguren der Szene dargestellt hat, fokussiert er den Blick auf das Liebespaar und den bevorstehenden Konflikt mit dem Zyklopen. Damit vermittelt sein Gemälde eine ganz andere Stimmung und Spannung als etwa Nicolas Poussins (1594-1665) »Acis und Galatea«, wo das Liebespaar in eine figurenreiche Landschaftsszenerie am Strand mit Meeresgeschöpfen eingebunden ist (Dublin, National Gallery).
Mit der Konzentration auf die drei Hauptfiguren und der Anordnung von Acis und Galatea im unmittelbaren Bildvordergrund erinnert Tischbeins Gemälde an das von Charles de la Fosse (Madrid, Prado). Unmittelbares Vorbild für seine Komposition könnte eine Darstellung von Cornelis Cornelisz. van Haarlem (1562-1638) gewesen sein, die in einem Stich von Jacob de Gheyn (1562-1638) überliefert ist. Dort ist das Liebespaar ebenfalls nahsichtig dem Betrachter vor Augen geführt. Die beiden lagern in ähnlicher Pose wie in Tischbeins Gemälde in einer Felsenhöhle, durch deren Öffnung man auf ein Vorgebirge blickt, auf dessen Abhang Polyphem sitzt und trübsinnig auf seiner Flöte spielt.
Von Tischbein ist eine lavierte Federzeichnung in der Graphischen Sammlung Albertina in Wien (Inv. Nr. 6.682) erhalten, die mit »1758« bezeichnet ist und deren Komposition mit dem Gemälde weitgehend übereinstimmt. In der Albertina wird das Blatt nicht als Vorzeichnung zum Gemälde, sondern als Stichvorlage gedeutet. Tischbeins Neffe Johann Heinrich d. J. (1742-1808) reproduzierte die Szene seitenverkehrt in einer Radierung (MHK, Graphische Sammlung, Inv. Nr. GS 10195b-d).
(S. Heraeus, 2003)


Archivalien:
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand [zusammengestellt von]: Verzeichniß der Gemälde auf Wilhelmshöhe im Kurfürstl. Schloß daselbst. 1815, Nr. 32.
Literatur:
  • Nachricht von den historischen Gemälden des fürstlich-hessenkasselischen Kabinattmalers, Herrn Johann Heinrich Tischbein. In: Deutsches Museum (1777), S. 362-372, S. 367, Kat.Nr. 14.
  • Meusel, Johann Georg: Teutsches Künstlerlexikon oder Verzeichnis der jetztlebenden teutschen Künstler. Lemgo 1778, S. 143.
  • Apell, David von: Cassel und die umliegende Gegend. Eine Skizze für Reisende. Kassel 1792, S. 105.
  • Engelschall, Josef Friedrich: Johann Heinrich Tischbein d. Ä., ehemaliger Fürstlich-Hessischer Rath und Hofmaler, als Mensch und Künstler dargestellt, nebst einer Vorlesung von Casparson. Nürnberg 1797, S. 95, Kat.Nr. 12.
  • Döring, Wilhelm: Beschreibung des Kurfürstlichen Landsitzes Wilhelmshöhe bey Cassel. Kassel 1804, S. 19, Kat.Nr. 4.
  • Apell, David von: Cassel in historisch-topographischer Hinsicht. Nebst einer Geschichte und Beschreibung von Wilhelmshöhe und seinen Anlagen. Marburg 1805, S. 35 (Teil 2).
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Versuch eines Verzeichnisses der kurfürstlich hessischen Gemälde-Sammlung. Kassel 1819, S. 126, Kat.Nr. 789.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Verzeichniß der Kurfürstlichen Gemählde-Sammlung. Cassel 1830, S. 147, Kat.Nr. 915.
  • Nagler, Georg Kaspar: Neues allgemeines Künstler-Lexicon. München 1835ff, S. 515 (Bd. 18, 1848), Kat.Nr. 10.
  • Auszug aus dem Verzeichnisse der Kurfürstlichen Gemälde-Sammlung. Kassel 1845, S. 83, Kat.Nr. 915.
  • Parthey, Gustav: Deutscher Bildersaal. Verzeichnis der in Deutschland vorhandenen Ölbilder verstorbener Maler aller Schulen. Berlin 1863/64, S. 641 (Bd. 2), Kat.Nr. 12.
  • Aubel, Carl: Verzeichnis der in dem Lokale der Neuen Gemälde-Gallerie zu Cassel befindlichen Bilder. Kassel 1877, S. 75, Kat.Nr. 870.
  • Michel, Edmond: Les Tischbein. Lyon 1881, S. 14.
  • Eisenmann, Oscar: Katalog der Königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. Nachtrag von C. A. von Drach. Kassel 1888, S. 378, Kat.Nr. 656.
  • Woltmann, Alfred; Woermann, Karl: Geschichte der Malerei. Bd. 3: Die Malerei von der Mitte des 16- bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Leipzig 1888, S. 1019.
  • Bahlmann, Hermann: Johann Heinrich Tischbein. Straßburg 1911, S. 25, 73, 84, Kat.Nr. 2.
  • Gronau, Georg: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Cassel. Berlin 1913, S. 69, Kat.Nr. 691.
  • Tietz, Hans [Bearb.]: Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina. Bd. 4-5: Die Zeichnungen der deutschen Schulen bis zum Beginn des Klassizismus. Wien 1933, S. 118, Kat.Nr. 2062.
  • Luthmer, Kurt: Die hessische Malerfamilie Tischbein. Verzeichnis ihrer Mitglieder und einer Auswahl ihrer Werke. Kassel 1934, S. 18, Kat.Nr. 40.
  • Schmitt, Otto [begonnen]: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Stuttgart/München 1937-1987, S. Sp. 124-126 (Bd. 1, 1937).
  • Vogel, Hans: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. Kassel 1958, S. 154, Kat.Nr. 691.
  • Herzog, Erich [Bearb.]: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. 1722-1789. Kassel 1964, S. 10, Kat.Nr. 18.
  • Marianne Heinz [Bearb.]; Erich Herzog [Bearb.+ Hrsg.]: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722 - 1789), Kassel trifft sich - Kassel erinnert sich in der Stadtsparkasse Kassel. Kassel 1989, S. 167, Kat.Nr. 35.
  • Tiegel-Hertfelder, Petra: "Historie war sein Fach". Mythologie und Geschichte im Werk Johann Heinrich Tischbeins d. Ä. (1722-1789). Worms 1996, S. 119-121, 327, 396, Z20, Kat.Nr. G 22.
  • Schloss Wilhelmshöhe Kassel. Antikensammlung, Gemäldegalerie Alte Meister, Graphische Sammlung. München/London/New York 2000, S. 104.
  • Heraeus, Stefanie [Bearb.]; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: Spätbarock und Klassizismus. Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel [u.a.] 2003, S. 227-228, Kat.Nr. 197.
  • 3x Tischbein und die europäische Malerei um 1800. Kat. Staatliche Museen Kassel, Museum der bildenden Künste Leipzig. München 2005, S. 34-35, 76, 78, Kat.Nr. 11.


Letzte Aktualisierung: 08.06.2020



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