Büste eines kahlköpfigen alten Mannes



Büste eines kahlköpfigen alten Mannes


Inventar Nr.: GK 232
Bezeichnung: Büste eines kahlköpfigen alten Mannes
Künstler: Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606 - 1669), Maler/in, Werkstatt
Dargestellt: unbekannt
Datierung: 1632
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Eichenholz
Maße: 48,7 x 40,2 cm (Bildmaß)
Provenienz:

erworben 1752 von Graf Algarotti, Venedig, durch Wilhelm VIII.

Beschriftungen: Signatur: RHL 1632


Katalogtext:
Der Oberkörper des alten, etwas unter Lebensgröße dargestellten Mannes wendet sich leicht nach links, während der Kopf vornüber geneigt ist. So fällt der Blick des Betrachters auf die nahezu kahle Schädeldecke. Nur dünnes Haar bedeckt die Schläfen oberhalb der Ohren; auch der leicht rötliche Bart ist eher schütter. Wenig ist von dem dunklen Gewand zu erkennen, das vor der Brust geschlossen ist. Allein den Kopf trifft ein helles Licht von links oben, selbst der Hintergrund ist in einem neutralen dunklen Ton gehalten. Auf der belichteten Seite fällt das dunkle Auge des Alten besonders auf, während das andere im Schatten verschwimmt.
Mit leicht pastoser Farbe modellierte der Maler die Haut der Schädeldecke; dadurch fängt sie mehr Licht, wirkt plastischer. Dünn legte er die Schattenpartien mit einer teils offenen Pinselführung an, so daß die Untermalung bzw. der Untergrund durchscheint. Das trifft mehr noch auf die Gewandbehandlung der Schulter rechts zu, nur wenig aber auf die linke Schulter und den Hintergrund.
Von Rembrandt sind eine ganze Reihe von Darstellungen – Zeichnungen, Radierungen, Gemälde – bekannt, in denen er das Motiv des alten bärtigen Mannes, der seinen Kopf vornüberbeugt, behandelt hat. Eine 1630 datierte Radierung zeigt ihn beispielhaft, ähnlich entwickelte Rembrandt ihn auf Historienbildern 1629/1630 im kleinen Figurenmaßstab. Bis zu einem bestimmten Grad folgt auch noch das sehr kleine Gemälde Alter Mann mit Pelzmütze in Innsbruck von 1630 diesem Typus. Die Verfasser des Rembrandt-Corpus nahmen 1982 die malerischen Qualitäten solcher authentischer Gemälde zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen, was von einer Darstellung Rembrandts eines Greisen im größeren Maßstab zu erwarten sei. In einer sehr differenzierten Analyse kommen sie zu dem Schluss, daß die Malerei des Kasseler Kahlköpfigen alten Mannes zwar deutlich an Rembrandts Arbeitsweise erinnert, daß aber auf der anderen Seite Schwächen unübersehbar sind: Der opak gestrichene Hintergrund vermittelt keine Tiefe, das verschattete Auge schafft einen zu dunklen Akzent, das Gewand besitzt keine Plastizität wie ebensowenig die verschattete Gesichtshälfte und andere Beobachtungen mehr. So kommen sie letztlich zu dem Schluss, daß die ausführende Hand des Gemäldes nicht Rembrandt selbst gewesen sein kann. Eine Beziehung des Gemäldes zu dessen gesichertem Werk scheint den Verfassern aber dennoch gegeben zu sein, so daß sie einen verlorenen Prototyp Rembrandts annehmen. Ein Reflex könne in einer Radierung mit dem Datum 1631 gefunden sein, die früher Rembrandt zugeschrieben worden ist, heute aber als Werk von Jan van Vliet gilt. Der dargestellte Greis zeigt ein insgesamt mehr verschattetes Gesicht, er hat den Mund leicht geöffnet, ansonsten aber entspricht er dem Typus des Kasseler Gemäldes und gibt sogar statt dessen summarisch behandelter Gewandung eine verständliche Form an. Dies zeigt ähnlich eine gemalte Kopie, ehemals in der Sammlung Schmetz, Aachen, wie auch eine Mezzotinto-Wiedergabe Preislers von 1755.
Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß die Kasseler Arbeit eine Kopie nach einem verlorenen Original Rembrandts ist, vielleicht jenes Bild, das in der Versteigerung der Sammlung Pieter Locquet, Amsterdam 22.-24. September 1783, Nr. 326 als Original Rembrandts genannt ist: „Dit verbeeld een oud Manshoofd halverlyf met een kaale Kruin’ als met aandagt iets beschouwende; Meesterlyk en fix gepenseelt“ (Dies zeigt den Kopf eines alten Mannes, halbfigurig mit kahlem Schädel, auf etwas mit Aufmerksamkeit schauend. Meisterhaft und tüchtig gemalt). Die angegebenen Maße entsprechen 50,1 x 41,1 cm, d.h. in etwa der damals schon in der Kasseler Galerie vorhandenen Version.
Bezeichnet wurde das Gemälde des Kahlköpfigen Alten mit dem Monogramm RHL (Rembrandt Harmenszoon Leidensis – Rembrandt, der Sohn des Harmen aus Leiden) ohne den sonst üblichen Zusatz „van Rijn“, aber mit einem folgenden Datum 1632. Das Rembrandt Research Project betrachtete die Authentizität der Signatur mit derselben Reserve wie das gesamte Gemälde und schlug vor, in der Datierung das Jahr der Ausführung konkret dieses Stücks zu sehen, in dem verkürzten Monogramm lediglich den Erfinder der Komposition.
Damit gehört das Gemälde freilich in Rembrandts unmittelbares Leidener Umfeld der Jahre 1630/32. Es spiegelt die frühe Auseinandersetzung seiner ersten Schüler mit seinem malerischen Werk wieder, wie es damals Gerard Dou, Isaak de Joudreville taten, oder in der Graphik Jan van Vliet. Ein ihm nur zugeschriebenes Blatt nach einer Vorlage Rembrandts zeigt erneut diese Auseinandersetzung um 1631, diesmal offensichtlich mit demselben Modell.
John C. van Dyke lenkte den Blick schon 1923 auf Rembrandts Leidener Weggefährten Jan Lievens, dessen charakteristische weiche Maltechnik und Behandlung der Augen er im vorliegenden Gemälde wiederfand. Auch die 1905 versteigerte Fassung aus der Sammlung Schmetz, Aachen, war Lievens zugeschrieben worden, wie ebenso ein erst kürzlich in New York verkauftes weiteres Exemplar als „Art des Jan Lievens“ katalogisiert wurde. Zurecht erinnert die Augenpartie an Greisenbilder von Jan Lievens, nicht aber die gesamte Physiognomie dieses rundlichen Kopfes.
Als typische „Tronie“ fügt sich das Bildnis eines kahlköpfigen alten Mannes bestens zu den anderen Charakterköpfen der Rembrandt-Werkstatt, wie sie in der Kasseler Galerie besonders reichhaltig anzutreffen sind. Rembrandt selbst hat durch seine Werkstattpraxis für die Verbreitung solcher typisch rembrandtesken Gemälde gesorgt, spätere Künstler haben sie für ihre Werke wiederverwandt. Ein kurioses Beispiel ist das 1741 aus der Sammlung Wallenstein in Dux nach Dresden verkaufte Exemplar. Der unbekannte Maler ergänzte die „Tronie“ mit einem der Mode um 1630/40 entlehnten Faltenkragen, was ihr nun einen fremdartigen Bildnischarakter verleiht. Zusammen mit der Aufhellung des Hintergrunds und der Überarbeitung der Kleidung mit Kragen und Knopfleiste erreichte er wohl eine verbesserte Räumlichkeit der Büste.
(G. J. M. Weber, 2006)


Inventare:
  • Catalogue des Tablaux. Kassel 1749, S. 62, Nr. 708.
Literatur:
  • Causid, Simon: Verzeichnis der Hochfürstlich-Heßischen Gemälde-Sammlung in Cassel. Kassel 1783, S. 141, Kat.Nr. 167.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Versuch eines Verzeichnisses der kurfürstlich hessischen Gemälde-Sammlung. Kassel 1819, S. 52, Kat.Nr. 319.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Verzeichniß der Kurfürstlichen Gemählde-Sammlung. Cassel 1830, S. 60, Kat.Nr. 365.
  • Auszug aus dem Verzeichnisse der Kurfürstlichen Gemälde-Sammlung. Kassel 1845, S. 39, Kat.Nr. 365.
  • Eisenmann, Oscar: Katalog der Königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. Nachtrag von C. A. von Drach. Kassel 1888, S. 137-138, Kat.Nr. 210.
  • Bode, Wilhelm; Hofstede de Groot, C. (mitwirkend): Rembrandt. Beschreibendes Verzeichniss seiner Gemälde mit den Heliographischen Nachbildungen. Geschichte seines Lebens und seiner Kunst. Paris 1897-1901, S. 153-154 (Bd. 2), Kat.Nr. 136.
  • Voll, Karl: Die Meisterwerke der königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. München 1904.
  • Gronau, Georg: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Cassel. Berlin 1913, S. 52, Kat.Nr. 232.
  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 61, Kat.Nr. 232.
  • Luthmer, Kurt: Staatliche Gemäldegalerie zu Kassel. Kurzes Verzeichnis der Gemälde. 34. Aufl. Kassel 1934, S. 22, Kat.Nr. 232.
  • Benesch, Otto: Rembrandt. Werk und Forschung. Wien 1935, S. 13, Kat.Nr. dG. 272/3.
  • Bredius, A.: Rembrandt Gemälde. Wien 1935.
  • Voigt, Franz: Die Gemäldegalerie Kassel. Führer durch die Kasseler Galerie. Kassel 1938, S. 18, Kat.Nr. 232.
  • Vogel, Hans: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. Kassel 1958, S. 117, Kat.Nr. 232.
  • Bott, Gerhard; Gronau, Georg; Herzog, Erich; Weiler, Clemens: Meisterwerke hessischer Museen. Die Gemäldegalerien in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden. Hanau 1967, S. 123.
  • Herzog, Erich: Die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel. Geschichte der Galerie von Georg Gronau und Erich Herzog. Hanau 1969, S. 35.
  • Schnackenburg, Bernhard: Gemäldegalerie Alte Meister Gesamtkatalog. Staatliche Museen Kassel. 2 Bde. Mainz 1996, S. 17, 246.
  • Savoy, Bénédicte: Patrimoine annexé: Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800. Paris 2003, S. 238, Kat.Nr. 530.
  • Weber, Gregor J. M. u. a.: Rembrandt-Bilder. Die historische Sammlung der Kasseler Gemäldegalerie. Ausstellungskatalog Staatliche Museen Kassel. München 2006, S. 202-206, Kat.Nr. 28.
  • Lange, Justus u.a.: Lichtgefüge. Das Licht im Zeitalter von Rembrandt und Vermeer. Petersberg 2011, S. 124, Kat.Nr. 43.
  • Krellig, Heiner: Francesco Algarotti as an Agent acquiring Works of Art for the German Courts at Berlin, Dresden and Kassel, in: Kunstmärkte zwischen Stadt und Hof. Prozesse der Preisbildung in der europäischen Vormoderne, Petersberg 2017, S. 263-278. Petersberg 2017, S. 270-271.


Letzte Aktualisierung: 13.12.2023



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