Vesuvausbruch im Jahr 1774



Vesuvausbruch im Jahr 1774


Inventar Nr.: 1875/1629
Bezeichnung: Vesuvausbruch im Jahr 1774
Künstler: Jakob Philipp Hackert (1737 - 1807), Maler/in
Datierung: 1774
Geogr. Bezug: Vesuv
Material / Technik: Leinwand, doubliert
Maße: 70,5 x 90,5 cm (Bildmaß)
Provenienz:

erworben 1776/77 durch Landgraf Friedrich II. in Italien

1874 Museum Fridericianum, Zimmer 18

Beschriftungen: Signatur: bez. u.l.: Eruption du Mont Vesuve le 12. Janvier 1774, J. Ph. Hackert, f.


Katalogtext:
Neapel mit dem Vesuv übte auf Italienreisende und Künstler im 18. Jahrhundert eine große Anziehungskraft aus. Neben den Ausgrabungsstätten von Herculaneum und Pompeji waren es die zum Teil dramatischen Ausbrüche des Vulkans in den Jahren 1766/1767, 1773/1774 sowie 1779, die den Malern zahlreiche faszinierende Ansichten lieferten.

Hackert, der seit 1768 in Italien lebte, schuf in Rom Landschaftsveduten, die die Natur wirklichkeitsgetreu darzustellen versuchten und so eine idealisierende Landschaftsauffassung überwanden. 1770 hielt er sich in Neapel auf und arbeitete u. a. für Sir William Hamilton, der sich intensiv mit der Erforschung der Vulkane beschäftigte, die 1776 zur ersten wissenschaftlichen Studie über die süditalienischen Vulkane führte („Campi Phlegraei: Observations on the Volcanos of the Two Sicilies“).

Goethes Lebensbeschreibung Hackerts verdanken wir eine Nachricht über die Entstehung des Gemäldes: „Daselbst hatte er Gelegenheit, im Jänner 1774 verschiedene Zeichnungen und Studien, nach einem eben damals geschehenen Ausbruch des Vesuvs zu verfertigen, welche er nach seiner Zurückkunft in Rom mehrfach auf größeren Gemählden benutzte.“ Heute sind drei weitere nicht signierte Versionen des Gemäldes bekannt, von denen sich eine früher im Besitz Goethes befunden haben soll.

Hackerts Inschrift suggeriert einen authentischen Tatsachenbericht, der durch Goethes Schilderung noch gestützt wird. Doch darf man nicht vergessen, dass Hackerts gemalte Darstellung im Atelier entstand und im Kontext der zeitgenössischen Landschaftsmalerei zu betrachten ist.
Wenngleich er sich durch den nahsichtigen Ausschnitt deutlich von den Ideallandschaften absetzt, wirkt vor allem die reiche Figurenstaffage wenig glaubhaft. Insbesondere die in unmittelbarer Nähe des Lavastromes befindlichen Figuren dienen eher der Unterstützung des erzählerischen Charakters. Hierzu passt auch ein Brief Hamiltons vom 29. Dezember 1767 an die Royal Society in London, dem Zeichnungen sowie ein Transparentgemälde vom Vesuv beigefügt waren. Darin pries er vor allem die Wirkung des letzteren, welches „when lighted up with lamps behind it, gives a much better idea of Vesuvius, than is possible to be given by any other sort of painting.“ Der Präsident der Royal Society antwortete ihm begeistert: “The representation of that grand & terrible scene, by means of transparent colours, was so lively and so striking, that there seems to be nothing wanting in us distant spectators but the fright that everybody must have been fired with who was so near.” Ansichten des Vesuvs, zumal diejenigen mit besonderen Lichteffekten, wirkten also auf zweierlei Weise: sie wollten ein möglichst anschauliches Bild von den Ereignissen geben, gleichzeitig aber auch den aus sicherer Entfernung betrachtenden Kunstkenner erschauern lassen. Hackerts Gemälde, das nach einer heute verschollenen Transportliste von Landgraf Friedrich II. während seiner Italienreise 1776/77 erworben wurde , zeigt diese Lichteffekte nun in die Leinwandmalerei übertragen sehr anschaulich. Nach einem längeren Aufenthalt in Rom war Friedrich am 4. Februar 1777 nach Neapel gereist, um sich dort die Kunststätten der Stadt und der näheren Umgebung anzuschauen, insbesondere die Ausgrabungsstätten am Vesuv, der ebenfalls bestiegen wurde. Am 17. Februar war die Reisegruppe wieder zurück in Rom, von wo es nach wenigen Tagen wieder zurück nach Kassel ging. Ob Friedrich das Werk in Neapel oder Rom erwarb, ist bislang nicht bekannt.

Das Gemälde war für das im Aufbau befindliche Museum Fridericianum bestimmt und hing im dortigen Mineralogischen Kabinett über der Tür. Im selben Raum wurde Lava und Asche vom Vesuv präsentiert. Hackerts Werk sollte also ganz im Sinne der Aufklärung als lehrreiches Anschauungsobjekt eines Naturereignisses und Lichtphänomens dienen.

Wie tief die in Rom und Neapel gewonnenen Eindrücke für den Landgrafen waren, geht aus der Gründung der „Société des Antiquités“ in Kassel hervor, keine drei Wochen nach der Rückkehr am 1. April 1777. Zu den außerhessischen Mitgliedern gehörte auch Sir Hamilton.
(J. Lange, 2011)


Literatur:
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  • Cheetham, Mark A.: The taste of phenomena: Mount Vesuvius and transformations in late 18th-Century european landscape depiction. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 45 (1984), S. 131-144, S. 137.
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  • Jord - forbindelser. Dansk maleri 1780-1920 og det antropocaene landskab. Kat. Faaborg Museum, Fugslang Kunstmuseum, Ribe Kunstmuseum, Den Hirschsprungske Samling. Arhus 2018, S. 135.
  • Bertsch, Markus; Trempler, Jörg: Entfesselte Natur. Das Bild der Katastrophe seit 1600. Kat. Hamburger Kunsthalle. Petersberg 2018, S. 48.
  • Lange, Justus: Ribera - Giordano - Solimena. Die Landgrafen von Hessen.KAssel als Sammler neapolitanischer Malerei, S. 112.


Letzte Aktualisierung: 19.12.2022



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