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Dr. Schmidt-Capelle



Dr. Schmidt-Capelle


Inventar Nr.: 1875/1602
Bezeichnung: Dr. Schmidt-Capelle
Künstler: Johann Heinrich d. Ä. Tischbein (1722 - 1789), Maler/in
Dargestellt: Dr. Schmidt-Capelle
Datierung: um 1755/1760
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Leinwand
Maße: 160 x 112 cm (unterer Rand 1 cm umgeschlagen, übrige Ränder beschnitten und 2 cm umgeschlagen) (Bildmaß)
Provenienz:

erworben 1974 vom Auktionshaus Christie's, Düsseldorf

bis 1974 Marie Binet de Westerweller (14.09.1880-mindestens 1973), Genf

Beschriftungen: Signatur: bez. u.l. (auf dem Kupferstich): ...bein f.


Katalogtext:
Das großformatige Standesporträt eines älteren Herrn, nahezu ganzfigurig in Lebensgröße, greift den Typus des Gelehrtenporträts auf. In einem Innenraum, vor neutraler dunkelbrauner Wand, sitzt der Dargestellte mit übereinander geschlagenen Beinen in einem Armlehnsessel an einem Schreibtisch. Er wendet den Kopf mit der gestutzten, weiß gepuderten Allongeperücke zum Betrachter und nimmt mit der Geste der linken Hand auf ihn Bezug. Er trägt einen kostbaren dunkelgrauen Hausmantel, der mit braunem Pelz gefüttert ist, darunter eine hellgraue Weste mit weißer Halsbinde und weißen Spitzenmanschetten. Offensichtlich suchte Tischbein d. Ä. mit der malerischen Brillanz des Stoffes und der feinen Haarmalerei des Pelzes dem Porträtierten Würde und Bedeutung zukommen zu lassen. In der rechten Hand hält er ein Buch, das er auf sein Knie stützt, die linke zeigt auf einen Erdglobus, der neben ihm steht.
Das Gemälde ist von hoher malerischer Qualität. Tischbein konzentrierte sich auf einen Dreiklang aus gedämpftem Braun, Blaugrau und Weißtönen, die in weichen Übergängen gestaltet sind. Die Lichtführung folgt noch der barocken Tradition, ebenso die Vorhangdraperie, die das Gelehrtenporträt überhöht.
Der Globus gehört ebenso wie die auf dem Tisch drapierten Folianten und losen Blätter, darunter auch ein Kupferstich mit einer Landschaftsdarstellung, zum geläufigen Typus des Gelehrtenporträts. In der Mitte des 18. Jahrhunderts, als Wissenschaftler und Künstler als Teil der bürgerlichen Gesellschaft eine besondere Wertschätzung erfuhren, setzte sich ein spezifischer Porträttypus durch mit fest gefügtem Bildaufbau und charakteristischen Attributen, die auf die Arbeit und die jeweiligen Interessensgebiete des Dargestellten verweisen. Der Kupferstich war ein Hinweis auf Sammlertätigkeit, wie etwa in Tischbeins Porträt des Leipziger Kunstsammlers Gottfried II Winckler (Privatbesitz). Der Globus mit dem Ausschnitt von Nord- und Osteuropa könnte auf einen bestimmten Forschungsgegenstand anspielen, etwa auf ausgedehnte Reisen.
Das Gemälde dürfte während des Siebenjährigen Krieges um 1755/60 entstanden sein, als Landgraf Wilhelm VIII. mit seiner Familie im Exil in Norddeutschland lebte und Tischbein Bildnisaufträge in Braunschweig, Hamburg und Schleswig-Holstein, Leipzig und Arolsen entgegennahm. Zum Vergleich bieten sich Tischbeins ebenfalls im Typus des Gelehrtenporträts gestaltete Bildnisse des Leipziger Sammlers Gottfried II Winckler von 1757 und des in Kassel tätigen Hofbediensteten Johann Daniel von Schmerfeld aus den 1760er Jahren an (Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Inv. Nr. WRM 2511). Wincklers Porträt ist mit der bewegten roten Draperie, dem schräg gestellten Tisch und der kontrastreichen Farbgebung noch stärker der französischen Rokokomalerei verhaftet. Das nüchtern gestaltete Bildnis Schmerfelds zeugt von den neuen Porträtvorstellungen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. In Bildaufbau, Lichtführung und Farbgebung ist es mit dem vorliegenden Porträt durchaus vergleichbar, doch verzichtete Tischbein dort auf jegliche Pathosformeln, auch auf die Draperie.
Die Identifizierung des Dargestellten als Dr. Schmidt-Capelle geht auf den Vorbesitzer des Bildnisses zurück, aus dessen Besitz auch das Porträt einer Witwe Schmidt-Capelle von Friedrich August Tischbein stammt (1875/1544). Ob es sich bei den beiden Personen tatsächlich um Mitglieder einer Familie Schmidt-Capelle handelt, lässt sich jedoch nicht belegen.
In der Kreidezeichnung, in der Tischbein das Porträt vorbereitete und für die eine andere Person, wohl ein Ateliergehilfe, Modell saß, ist die Konzentration auf die Person noch nicht so ausgeprägt wie in der Gemäldefassung (MHK, Graphische Sammlung, Inv. Nr. GS 1971/289). Der Hintergrund ist nicht auf einen neutralen dunkelbraunen Grund reduziert, sondern detaillierter beschrieben: an der Wand hängt ein Gemälde und am linken Blattrand ist ein Fenster zu sehen. Ansonsten weist die Zeichnung aber alle wesentlichen Elemente des Gemäldes auf und weicht nur in der Haltung der Hände, der Kleidung und bei den Accessoires auf dem Tisch geringfügig ab.
(S. Heraeus, 2003)


Literatur:
  • Marianne Heinz [Bearb.]; Erich Herzog [Bearb.+ Hrsg.]: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722 - 1789), Kassel trifft sich - Kassel erinnert sich in der Stadtsparkasse Kassel. Kassel 1989, S. 109, 158, Kat.Nr. 12.
  • Flohr, Anna-Charlotte: Johann Heinrich Tischbein d.Ä. (1722-1789) als Porträtmaler mit einem kritischen Werkverzeichnis. München 1997, S. 94, 221, Kat.Nr. G 122.
  • Heraeus, Stefanie [Bearb.]; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: Spätbarock und Klassizismus. Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel [u.a.] 2003, S. 276-278, Kat.Nr. 238.


Letzte Aktualisierung: 25.01.2022



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