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Marianne Pernette Tischbein, des Malers zweite Gattin



Marianne Pernette Tischbein, des Malers zweite Gattin


Inventar Nr.: GK 719c
Bezeichnung: Marianne Pernette Tischbein, des Malers zweite Gattin
Künstler: Johann Heinrich d. Ä. Tischbein (1722 - 1789), Maler/in
Dargestellt: Marianne Pernette Tischbein (1738 - 1764)
Datierung: 1762
Geogr. Bezug: Kassel
Material / Technik: Leinwand
Maße: 84,5 x 69,5 cm (rechts ca. 2 cm, oben ca. 0,5 cm umgeschlagen) (Bildmaß)
Provenienz:

erworben 1908 von Max Cramer, Kassel

bis 1789 in Tischbeins Wohnhaus, Kassel

Beschriftungen: Signatur: bez. verso: J H T Pinx. 1762


Katalogtext:
Als Halbfigur im Dreiviertelprofil hat Tischbein d. Ä. seine zweite Frau Julie Marianne Pernette vor neutralem dunkelbraunem Grund mit einem Vorhang am linken Bildrand wiedergegeben. Wie in einer Theaterloge sitzt sie, leicht nach links gewandt, auf einem grünen Fauteuil und stützt den rechten Arm auf eine grünseidene Brüstung, auf die in weichen Falten der Stoff ihres Umhangs und Kleides fällt. Offenen Blickes wendet sie sich direkt zum Betrachter. Das Buch mit dem buntmarmorierten Einband, das sie in der linken Hand hält, ist in Frauenbildnissen dieser Zeit ein häufig auftauchendes Attribut.
Das Bildnis ist mit »1762« signiert. Im Sommer 1763 hat Tischbein Julie Marianne Pernette (1738-1764), geb. Robert, geheiratet. Sie war die jüngere Schwester seiner ersten Frau Marie Sophie (1875/1193), die 1759 nach nur dreijähriger Ehe gestorben war. 1764 starb auch Marianne Pernette.
In Anlehnung an die elegante französische Porträtmalerei in der Art von Jean-Marc Nattier (1685-1766) und Louis Tocqué (1696-1772) präsentierte Tischbein seine zukünftige Frau. Wie in vielen seiner Gemälde setzte er die Kleidung, deren Stofflichkeit und Details, minutiös und mit hoher Meisterschaft in Szene. Die kostbare Mantille über dem tief ausgeschnittenen Kleid aus grauschimmernder Seide mit Blumenmotiven und Spitzenbordierung zieht den Blick ebenso auf sich wie die fein gemalten, weißen Spitzen an Dekolleté und Manschetten. Diese aus den Niederlanden und Frankreich importierten kostspieligen Klöppel- und Nadelspitzen waren in der Mitte des 18. Jahrhunderts das wichtigste modische Zubehör der Kleidung, schmückendes Element und Standeszeichen zugleich. Der französischen Mode entsprechend ziert den Hals ein gerüschtes grauseidenes Band mit Schleife und Brosche. Im grau gepuderten Haar, das in weichen Wellen zu einem Nackenknoten gebunden ist, steckt ein Sträußchen grauer Kunstblumen. Auf dem Hinterkopf ist der Ansatz eines flachen weißen Spitzenhäubchens zu erkennen.
Dient die Kleidung als Ausdruck gesellschaftlichen Ranges, den der Maler hier für seine zukünftige Ehefrau beansprucht, so ist sie doch der »liebenswürdigen Verbindlichkeit« der Dargestellten untergeordnet: »Dieser persönliche Zug ist nicht nur dadurch bedingt, daß die Dargestellte Gattin des Malers ist, sondern ist ein Stilmittel Tischbeins, das ihn von französischen Vorbildern unterscheidet« (Börsch-Supan, in: Keller 1971, S. 413).
Das Motiv der Brüstung, das die Porträtierte dicht an den vorderen Bildrand rückt und den Betrachter in den gemalten Bildraum einbezieht, trägt wesentlich zum Eindruck von Intimität und Privatheit bei. Unterstützt wird dies durch das von links oben einfallende Licht, das die Figur aus dem dämmrigen Halbdunkel ihrer Umgebung hervortreten lässt und die Gesichtszüge und das fein abgestufte Inkarnat weich modelliert. Durch die subtile Lichtregie, die helle und dunkle Partien gegeneinander abwägt, aber auch durch den Gesamtton der Farbgebung wird die Bildpräsenz der Dargestellten gesteigert.
Tischbein, der seine beiden Ehefrauen und Töchter wiederholt porträtiert hat, fertigte von dem vorliegenden Bildnis mehrere Fassungen an. Eine schwächere Version wird im Kunstmuseum in Bern (Inv. Nr. 504) aufbewahrt, eine weitere im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum, Schloss Gottorf (Inv. Nr. 1987/543). Ein früheres, 1756 ausgeführtes Bildnis der Marianne Pernette hängt in der Schönheiten-Galerie zu Schloss Wilhelmsthal bei Kassel, die Tischbein im Auftrag Wilhelms VIII. ausführte.
(S. Heraeus, 2003)


Literatur:
  • Engelschall, Josef Friedrich: Johann Heinrich Tischbein d. Ä., ehemaliger Fürstlich-Hessischer Rath und Hofmaler, als Mensch und Künstler dargestellt, nebst einer Vorlesung von Casparson. Nürnberg 1797, S. 41, 119, Kat.Nr. 7 (?).
  • Thieme, U. [Hrsg.]; Becker, F. [Hrsg.]; Vollmer, H. [Hrsg.]: Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Leipzig 1907-1950, S. 210 (Bd. 33, 1939).
  • Bahlmann, Hermann: Johann Heinrich Tischbein. Straßburg 1911, S. 13, 72, Kat.Nr. 12.
  • Gronau, Georg: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Cassel. Berlin 1913, S. 71, Kat.Nr. 719c.
  • Bleibaum, Friedrich: Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel. Bd. VII: Kreis Hofgeismar. Erster Teil. Schloß Wilhelmsthal. Kassel 1926, S. 52, Kat.Nr. 6.
  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 82, Kat.Nr. 719c.
  • Luthmer, Kurt: Die hessische Malerfamilie Tischbein. Verzeichnis ihrer Mitglieder und einer Auswahl ihrer Werke. Kassel 1934, S. 16, Kat.Nr. 27.
  • Vom Rokoko zur Romantik. Kassel 1946, S. 4, Kat.Nr. 1.
  • Heusinger, Christian von: J. H. Tischbein d. Ä. und die Familie Robert. In: Hessische Heimat 7 (1957/58), S. 19-22, S. 20.
  • Vogel, Hans: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. Kassel 1958, Kat.Nr. 719c.
  • Herzog, Erich [Bearb.]: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. 1722-1789. Kassel 1964, S. 10, Kat.Nr. 20.
  • Herzog, Erich: Meisterwerke in hessischen Museen. Hanau 1967a, S. 162, Kat.Nr. 32.
  • Keller, Harald: Die Kunst des 18. Jahrhunderts. Berlin 1971, S. 413, Kat.Nr. 408.
  • Jean Paulhan à travers ses peintres. Ausstellungskatalog. Grand Palais. Paris 1974, Kat.Nr. 54 (Bd. 1), 593 (Bd. 2).
  • Spielmann, Heinz: Die Museumslandschaft Schleswig-Holstein und das Landesmuseum Schloß Gottorf. Entwicklung und Erwerbungen 1986/87. In: Weltkunst 57 (1987), S.
  • Marianne Heinz [Bearb.]; Erich Herzog [Bearb.+ Hrsg.]: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722 - 1789), Kassel trifft sich - Kassel erinnert sich in der Stadtsparkasse Kassel. Kassel 1989, S. 162, Kat.Nr. 22.
  • Tiegel-Hertfelder, Petra: "Historie war sein Fach". Mythologie und Geschichte im Werk Johann Heinrich Tischbeins d. Ä. (1722-1789). Worms 1996, S. 29.
  • Flohr, Anna-Charlotte: Johann Heinrich Tischbein d.Ä. (1722-1789) als Porträtmaler mit einem kritischen Werkverzeichnis. München 1997, S. 103, 235, Kat.Nr. G 150.
  • Heraeus, Stefanie [Bearb.]; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: Spätbarock und Klassizismus. Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel [u.a.] 2003, S. 283-285, Kat.Nr. 242.
  • Lange, Justus; Gräf, Holger Th.; Rehm, Stefanie: Patrimonia 391, Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Bildnis des Louis Gaucher, Duc de Châtillon, Gemäldegalerie Alte Meister, Museumslandschaft Hessen Kassel. Kassel 2018, S. 67.
  • Lehnart, Ilona: Die schöne Frau Tischbein. In: Hissische-Niedersächsische Allgemeine (29.10.1995), S. 29, S. 29.


Letzte Aktualisierung: 10.03.2023



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