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Büste eines Greises mit Brustkreuz



Büste eines Greises mit Brustkreuz


Inventar Nr.: GK 231
Bezeichnung: Büste eines Greises mit Brustkreuz
Künstler: Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606 - 1669), Maler/in, Werkstatt
Dargestellt: unbekannt
Datierung: 1630
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Eichenholz
Maße: 67,4 x 55,9 cm (Bildmaß)
85 x 75 x 8,5 cm (Objektmaß)
Provenienz:

erworben vor 1730 durch Landgraf Carl


Katalogtext:
Der dargestellte Greis mit hellgrauem Haar und Vollbart wendet Oberkörper und Kopf leicht nach links, wohin auch sein Blick geht. Er trägt ein schwarzes Samtbarett, einen Mantel aus demselben Stoff und darunter ein graues Gewand. Zwei goldene Ketten sind parallel um seine Schultern gelegt; an der unteren hängt mittig ein goldenes Kreuz, das mit einem hellen Stein besetzt ist. Der bräunliche Hintergrund lichtet sich rechts vom Kopf leicht auf, ein Schatten ganz rechts am Bildrand kennzeichnet ihn als Wand hinter dem Dargestellten.
Dieses Gemälde erwarb Wilhelm VIII. nicht selbst, er übernahm es aus der Sammlung seines Vaters Landgraf Karl. In dessen Nachlassinventar taucht es 1730 auf wie ebenso im Inventar des Kunsthauses von 1744, wo sich der interessante Vermerk findet, daß dieses ungerahmte Bild „des herrn Stadhalters hochfürstl. Durchl.“ habe, also Prinz Wilhelm von Hessen, damals noch Statthalter seines Bruders König Friedrich I. von Schweden. Später sollte Wilhelm das Gemälde zusammen mit einem thematisch gleichen Gegenstück (GK 1112), das auf dasselbe Format umgearbeitet wurde, in seine Galerie hängen, und zwar in erster Reihe flankierend zum großen Bauerntanz von David Teniers d.J. (GK 148), der zentral auf der hofseitigen Wand unterhalb von Jakob Jordaens Bohnenfest (GK 108) ausgestellt war. Damit erhielten diese beiden Greisenköpfe eine sehr prominente Stelle innerhalb der gesamten Galerie zugewiesen.
Lange Zeit galt das Bild als ein besonders anziehendes Meisterwerk Rembrandts. Die Beschreibungen in den Katalogen, insbesondere dem von 1938, und die neunzig nachgewiesenen gemalten Kopien zeugen davon. Ein Exemplar des Kasseler Galeriekataloges von 1929 hingegen trägt den handschriftlichen Vermerk, „Roëll sagt Trousseau [sic]“, was ein erster Hinweis auf Zweifel an der Autorschaft bedeutet: Vermutlich wird eine Äußerung von David Cornelis Roëll, seit 1945 Direktor des Rijksmuseum, Amsterdam, gemeint sein, der Ähnlichkeiten zu Werken des Rembrandt¬schülers Jacques des Rousseaux konstatiert (Tourcoing um 1600 – 1638 Leiden). Tatsächlich hat Rosseaux sich auf Tronies von alten Menschen spezialisiert, von denen einige 1630 datiert sind und sein Monogramm JR oder JDR tragen. In diesem Jahr war er selbständiger Meister geworden.
Im ersten Band des Rembrandt-Corpus von 1982 wird konstatiert, daß die Signatur auf dem vorliegendem Gemälde von denen Rembrandts aus den Jahren 1630/32 abweicht: Die Form der relativ großen Buchstaben mache den Eindruck von Steifheit, das R sei anders als sonst nach links offen. Auch ein Vergleich der Malweise und Farbwahl vor allem des Inkarnats zu gesicherten Werken falle zu Ungunsten des Bildes aus, sie sei plump und unökonomisch. Auch die Art, durch eine lockere Pinselführung den Hintergrund durchscheinend zu machen, lasse eine rhythmische Struktur vermissen und zeige nur ein oberflächliches Verständnis von Rembrandts eigener Technik. Diese Hintergrundfarbe wurde auch, was sehr ungewöhnlich sei, an die Figur herangeführt bzw. überlappe sie sogar stellenweise. Das Datum 1630 passe auch nicht zu Rembrandts Kompositionen dieser Zeit, sondern eher in die Jahre 1631/32, in denen er Radierungen ähnlich gewandeter Greise anfertigte, die eine – wenn auch nur entfernte – Verwandtschaft zu GK 231 aufwiesen. Auch der Schatten an der Wand sei nicht vor 1632 in authentischen Gemälden Rembrandts zu finden.
Weiterhin seien achteckige Holztafeln um 1630 ungewöhnlich; man habe damals angefertigte rechteckige erst nachträglich zu achteckigen beschnitten. In Fall dieses Bildes wurde eine rechteckige Tafel mit den dabei üblichen Abfasungen vor der Bemalung schon zum Achteck beschnitten. All dies mache eine Authentizität des Bildes unglaubwürdig, so daß die Autoren zu der Überzeugung gelangten, das Gemälde sei eine spätere Imitation des 17., möglicherweise auch frühen 18. Jahrhunderts.
Einer der Autoren, Ernst van de Wetering, versuchte in einer im Corpus zusammen-gefassten Notiz vom Dezember 1979 doch die Möglichkeit aufrecht zu erhalten, daß Rembrandt Autor des Bildes sein könne: Vielleicht sei der Hintergrund zweimal gemalt worden, so daß er deshalb die Figurenkontur überlappe; auch zeige Rembrandts Produktion von „tronies“ der Leidener Zeit wenig Einheitlichkeit in Stil und Materialwiedergabe. In einem Vortrag in Kassel 1984 relativierte Van de Wetering diese Argumentation und sah in GK 231 das Werk eines unbekannten Mitarbeiters Rembrandts, der auch das Gemälde Lesender Eremit des Louvre geschaffen habe. Nach dieser Auffassung wäre GK 231 doch im unmittelbaren Unfeld Rembrandts um 1630/32 entstanden.
Ein weiteres Gemälde gehört in diesen Kreis, die Büste eines bärtigen alten Mannes in Detroit (Institut of Arts). Das ursprünglich rechteckige Gemälde ist erst nach der Bemalung der Holztafel auf das Achteck beschnitten worden. Die Ähnlichkeit beider Gemälde beschränkt sich aber nicht nur auf diese Bildform, sondern auch auf die Motive der Mütze und der zwei Goldketten. Bernhard Schnackenburg bemerkte, daß der Greis nach demselben Modell wie auf dem vorliegenden Bild gemalt sei, was George S. Keyes im Katalog des Detroiter Institutes of Arts auch auf die Modellierung der Nasenrückenlinie mit ähnlicher Pinselführung ausdehnte. Auch die etwas unbestimmte Angabe des verschatteten Ohr – das im Kasseler Bild wie ausgespart erscheint – scheint ihm ähnlich.
Freilich sind auch die Unterschiede evident: Das Detroiter Gemälde wird durch die verschiedenen Körperwendungen der Figur verlebendigt, da sich der Oberkörper nach rechts, das Gesicht aber nach links wendet. Die schräg auf den Kopf gesetzte Mütze verstärkt den Effekt von Bewegung, wie auch die Goldketten mit größerer Brillanz und differenzierter verteilten Glanzlichtern ausgeführt ist.
Damit gehört das Kasseler Gemälde Büste eines Greises mit Brustkreuz zu einer Gruppe von „tronies“ oder Charakterköpfen, wie sie in Rembrandts Werkstatt von bekannten und unbekannten Schülern und Gehilfen in den frühen dreißiger Jahren ausgeführt wurden – Isaac de Joudreville oder der schon genannte Jacques des Rousseaux sind nur zwei davon. Wie Thomas Ketelsen hier in seinem einleitenden Beitrag ausführt, war es gerade das Ziel ihrer Lehrzeit, die Manier Rembrandts soweit zu beherrschen, daß ihre Werke mit denen des Meisters verwechselt werden konnten. Rembrandt selbst muss an dieser Produktion ein lebhaftes wirtschaftliches Interesse gehabt haben, so daß diese Schülerwerke wie Gemälde seiner Hand verkauft und – recht häufig – auch mit seinem Monogramm versehen worden sind.
Landgraf Wilhelm VIII. erwarb eine ganze Reihe dieser Studienköpfe, die damit wie Musterbeispiele von Rembrandts Kunst gelten konnten.
(G. J. M. Weber 2006)


Inventare:
  • Summarisches Inventarium. Über die in dem königl. und hoch-fürstl. Kunst-Hause so genannten Medaillen-Cammer befindlichen Pretiosa und anderen Sachen. 1744 / 1747, S. 185, Nr. 167.
  • Catalogue des Tablaux. Kassel 1749, S. 1, Nr. 3.
Literatur:
  • Causid, Simon: Verzeichnis der Hochfürstlich-Heßischen Gemälde-Sammlung in Cassel. Kassel 1783, S. 7-8, Kat.Nr. 23.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Versuch eines Verzeichnisses der kurfürstlich hessischen Gemälde-Sammlung. Kassel 1819, S. 50, Kat.Nr. 302.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Verzeichniß der Kurfürstlichen Gemählde-Sammlung. Cassel 1830, S. 58, Kat.Nr. 348.
  • Auszug aus dem Verzeichnisse der Kurfürstlichen Gemälde-Sammlung. Kassel 1845, S. 37, Kat.Nr. 348.
  • Aubel, L.; Eisenmann, Oscar: Verzeichniß der in der Neuen Gemälde-Galerie zu Cassel befindlichen Bilder. 2. Aufl. Kassel 1878, S. 33, Kat.Nr. 348.
  • Eisenmann, Oscar: Katalog der Königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. Nachtrag von C. A. von Drach. Kassel 1888, S. XXXIV-XXXV, 136-137, Kat.Nr. 209.
  • Bode, Wilhelm; Hofstede de Groot, C. (mitwirkend): Rembrandt. Beschreibendes Verzeichniss seiner Gemälde mit den Heliographischen Nachbildungen. Geschichte seines Lebens und seiner Kunst. Paris 1897-1901, S. 95-96, Kat.Nr. 32.
  • Voll, Karl: Die Meisterwerke der königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. München 1904.
  • Gronau, Georg: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Cassel. Berlin 1913, S. 52, Kat.Nr. 231.
  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 61, Kat.Nr. 231.
  • Bauch, Kurt: Die Kunst des jungen Rembrandt. Heidelberg 1933, S. 143.
  • Luthmer, Kurt: Staatliche Gemäldegalerie zu Kassel. Kurzes Verzeichnis der Gemälde. 34. Aufl. Kassel 1934, S. 22, Kat.Nr. 231.
  • Benesch, Otto: Rembrandt. Werk und Forschung. Wien 1935, S. 5, Kat.Nr. dG. 371.
  • Bredius, A.: Rembrandt Gemälde. Wien 1935.
  • Voigt, Franz: Die Gemäldegalerie Kassel. Führer durch die Kasseler Galerie. Kassel 1938, S. 18, Kat.Nr. 231.
  • Rembrandt und seine Zeit. Zweihundert Gemälde der Blütezeit der holländischen Barockmalerei des 17. Jahrhunderts aus deutschen, holländischen und schweizerischen Museums- und Privatbesitz. Museum zu Allerheiligen. Ausstellung 10.4.1949 - 2.10.1949. Schaffhausen 1949, S. 60, Kat.Nr. 115.
  • Vogel, Hans: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. Kassel 1958, S. 117, Kat.Nr. 231.
  • Bott, Gerhard; Gronau, Georg; Herzog, Erich; Weiler, Clemens: Meisterwerke hessischer Museen. Die Gemäldegalerien in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden. Hanau 1967, S. 102.
  • Herzog, Erich: Die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel. Geschichte der Galerie von Georg Gronau und Erich Herzog. Hanau 1969, S. 14.
  • Adler, Wolfgang; Herzog, Erich; Lahusen, Friedrich; Lehmann, Jürgen M.: Gemäldegalerie Alte Meister Schloß Wilhelmshöhe. Braunschweig 1981, S. 10, 66.
  • Schnackenburg, Bernhard: Gemäldegalerie Alte Meister Gesamtkatalog. Staatliche Museen Kassel. 2 Bde. Mainz 1996, S. 14, 246.
  • Justus Lange/Christine van Mulders/Bernhard Schnackenburg/Joost Vander Auwera: Pan & Syrinx. Eine erotische Jagd. Peter Paul Rubens, Jan Brueghel und ihre Zeitgenossen. Ausstellungskatalog Staatliche Museen Kassel/Städel Museum Frankfurt am Main, bearbeitet von Justus LAnge u.a., Kassel 2004. Kassel 2004, S. 26.
  • Weber, Gregor J. M. u. a.: Rembrandt-Bilder. Die historische Sammlung der Kasseler Gemäldegalerie. Ausstellungskatalog Staatliche Museen Kassel. München 2006, S. 85-89, Kat.Nr. 3.
  • Schnackenburg, Bernhard: Jan Lievens. Freund und Rivale des jungen Rembrandt. Mit einem kritischen Katalog des Leidener Frühwerks 1623-1632. Petersberg 2016, S. 326, Kat.Nr. 146.
  • Weber, Gregor J. M.: Rembrandt in Kassel. The Relativity of Eighteenth-Century Connoisseurship. In: Appreciation the Traces of an Artist's Hand, Kyoto Studies in Art History, Bd. 2 (2017), S. 73-82, S. 74.
  • Bungarten, Gisela (Hrsg.): Groß gedacht! Groß gemacht? Landgraf Carl in Hessen und Europa. Ausstellungskatalog. Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel. Petersberg 2018, S. 309-310, Kat.Nr. VII.3.
  • Sevcik, Anja K.: Inside Rembrandt 1606-1669. Petersberg 2019, S. 173-174, Kat.Nr. 48.
  • Dohe, Sebastian: Der Nukleus der Kasseler Gemäldegalerie? Landgraf Carls Gemäldesammlung. In: Eberts, Jochen (Hg.): Landgraf Carl. Felder fürstlichen Handelns (Hessen-Kassel 1677-1730) (2023), S. 225-244, S. 234.


Letzte Aktualisierung: 28.11.2022



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