Büste eines Greises mit goldener Kette



Büste eines Greises mit goldener Kette


Inventar Nr.: GK 233
Bezeichnung: Büste eines Greises mit goldener Kette
Künstler: Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606 - 1669), Maler/in
Dargestellt: unbekannt
Datierung: 1632
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Eichenholz
Maße: 59,3 x 49,3 cm (Bildmaß)
103 x 92 x 12 cm (Rahmenmaß)
Provenienz:

erworben 1750 durch Wilhelm VIII. mit dem Kabinett des Valerius Röver, Delft

Beschriftungen: Signatur: RHL van Ryn/1632


Katalogtext:
Als lebensgroßes Brustbild dargestellt, blickt ein Greis mit nur leichter Wendung nach links aus dem Bild heraus. Den um die Schultern gelegten schwarzen Mantel trägt er vorne offen, so daß sein braunes Untergewand und eine doppelt gelegte Goldkette mit Anhänger sichtbar werden. Der dünn gestrichene Hintergrund ist bräunlich grau. Das Licht lenkt die Aufmerksamkeit allein auf seine Physiognomie, sein stark von Falten durchfurchtes Gesicht mit einem Kranz von wirrem hellgrauen Kopf- und Barthaar.
Dieses Gesicht ist – wie Wilhelm Bode 1883 treffend schrieb – „wie in Farbe geknetet: in sicheren, großen Pinselstrichen ist, fast unvermittelt, Falte neben Falte gesetzt“. Die Farbigkeit dieser Modellierung ist äußerst reichhaltig, das Inkarnat weist gelbliche, rote, graue und violette Beimischungen auf, die sicherlich mit Grund für den alten Rufnamen des Gemäldes „Der Mann mit der Kupfernase“ waren. Die Haare sind nicht nur mit der Pinselspitze gemalt, sondern auch mit dem Pinselstiel in die nasse Farbe gekratzt worden.

Ein gewisses Unbehagen ergriff schon seit geraumer Zeit manche Kritiker des Bildes. Jan Veth setzte es 1911 von der Studie des kahlköpfigen Alten (Kat.-Nr. 28), der ihm eine „schöne Probe von gefühlvoller, flüssiger Pinselführung“ war, deutlich ab: „[Aber] der gleichzeitige ‚Mann mit der Kupfernase’, worin nach pompösem Vortrag gestrebt wird, ist grob geblieben.“ Van Dyke erkennt ein eher vergebliches Bemühen in der Pinselarbeit: „Rather red in the face and laboured in the flesh painting, as though the painter had gone over it again and again or it had been repainted by a later hand. It is effective at a distance but disturbing by its superabundance of wrinkles. The head and hair are put in with many strokes of the brush and then, as though still dissatisfied with the result, the surface is cut into by the wooden end of the brush […].”
Auf dem Rembrandt-Symposium in Chicago 1969 äußerte Josua Bruyn erstmals die These, das Gemälde sei eine spätere Imitation, wenn auch noch aus dem 17. Jahrhundert – immerhin reicht die nachgewiesene Provenienz bis mindestens 1693. Das Rembrandt Research Project fand 1986 dann sehr klare Worte gegen die Autorschaft Rembrandts: Das Motiv ließe sich zwar im anerkannten Werk Rembrandts wiederfinden, nicht aber die Ausführung des Bildes. Alle Falten und Runzeln seien nahezu bedrückend eindringlich mit Pinselstrichen dargestellt worden, die mit gleichbleibend opaker Farbe in einer Vielzahl von Tönen ausgeführt seien. Das gleiche Temperament erkenne man in der exzessiven Malerei der Haare und selbst in der übergewichtigen – daher kaum lesbaren und falschen – Signatur. Das Gemälde „must be seen as an overblown imitation of a Rembrandtesque subject, executed in a totally un-Rembrandtlike way.” Weitere technische Detailbeobachtungen bestärkten die Autoren in ihrem Urteil, um daraus zu schließen, daß freie Interpretationen nach Rembrandtschen Vorbildern schon früh auch außerhalb seines Kreises entstanden sein müssen. Als Beleg verwiesen sie auf weitere „tronies“, die als Varianten zum vorliegenden Greis mit goldener Kette bzw. eines gemeinsamen Urbildes zu betrachten seien.
Werner Sumowski publizierte das Gemälde dann 1990 mit einer Zuschreibung an Govert Flinck, von späterer Hand mit dem Namen Rembrandts und dem Datum 1632 bezeichnet. Als Referenzstück verwies er auf den Orientalischen Fürsten in Liverpool, für ihn ebenfalls ein Werk Flincks aus derselben Entstehungszeit um 1642 (Sumowski 1983ff., Bd. 5, Nr. 2084).
Bernhard Schnackenburg betrieb – nach anfänglicher Akzeptanz der Meinung des Rembrandt-Research-Projects – eine Rehabilitierung des Gemäldes. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war eine Bemerkung Ernst van de Weterings, der von einer gewissen Grobheit in Gemälden mancher Nachfolger Rembrandts auf deren Vorstellung von der Kunst des Meisters schloß. Daher sollte „die Rauheit der Ausführung […] nicht gänzlich aus unserer Konzeption von Rembrandts Malweise ausgeschlossen werden“. Diese Sätze betrafen einen anderen, wesentlich kleineren Greisenkopf in der Sammlung Bader, dessen Malerei der Hautfalten und –runzeln im starken Streiflicht ebenfalls pastos herausmodelliert sind (Kat. Kassel/Amsterdam 2001, S. 370-373). Jan van Vliet radierte das Bild 1634 mit dem Hinweis, Rembrandt sei der Erfinder des Motivs. Schnackenburg untersuchte daraufhin die „rauhe Manier“ als Phänomen in der Kunstgeschichte und etablierte sie beim jungen Rembrandt in einer linearen Entwicklungslinie, die über das Bild der Sammlung Bader ihren Kulminationpunkt im Kasseler Greis mit goldener Kette gefunden habe. Damit waren die stilkritischen Maßstäbe des Rembrandt-Research-Projects hinterfragt und eine erweiterte Vorstellung von Rembrandts früher Kunst möglich geworden. Immerhin hatte schon Landgraf Wilhelm VIII., als er 1750 die acht neu erworbenen Gemälde Rembrandts aus der Sammlung Röver begutachtete, geschrieben, daß darunter welche „von der rauhen dick aufgetragenen Malereyen, andere wieder so fein als ein Gerard Dou und Mieris“ zu finden seien. Vielleicht dachte er bei der ersten Gruppe an ein Gemälde wie den Greis mit goldener Kette, bei der zweiten an eines wie die Saskia (GK 236).
2005 erschien der vierte Band des Corpus der Rembrandtgemälde, in dem Ernst van de Wetering die Meinung von 1986 revidiert: Unter Berücksichtigung der Argumente Schnackenburgs verdiene eine erneute Zuschreibung des Gemälde an Rembrandt ernsthaft erwägt zu werden, freilich erst nach einer Restaurierung des Werks und einer erneuten Analyse seiner Maltechnik.
Die komplizierte Abnahme der vergilbten Firnisschichten 2005/2006 brachte nun eine ausgesprochen dichte und vielfarbige Malerei zutage: Mit großem Aufwand wurde fette Farbe in zahlreichen breiten Strichen aufeinander gepastet, teils in Verunklärung der Form, teils mit erneuter Korrektur, seien es die Angaben der Tränensäcke des Alten, des verschatteten Nasenflügels, des breiten glanzlosen Nasenrückens, der ins schmutzige Grau getriebenen Nasenrundung. Wie auch das Röntgenbild zeigt handelt es sich nicht um ein rationelles Arbeiten, das zielgerichtet zu einem Ergebnis kommt. Der wiederholte Durchgang beim Aufsetzen der Inkarnatfarbe findet sein Äquivalent in der mühevollen Malerei der Haare mit einer groben Anlage, hellgrau gemalten Strähnen und den zusätzlichen Kratzern mit dem Pinselstil. In seiner wiedergewonnenen Vielfarbigkeit und nun deutlicher sichtbaren additiven Malweise im Inkarnat entspricht das Gemälde wenig der heutigen Vorstellung von Rembrandts originalen Werken zwischen 1630 und 1635. Verwandte findet es jetzt in weiteren Gemälden der Rembrandt-Werkstatt, wie z.B. mehr als zuvor in der Charakterstudie Büste eines Mannes mit wirrem Haar von 1635.
Auch ein Vergleich mit dem originalen Greisenkopf der Sammlung Bader, um 1630 von Rembrandt gemalt, ist aufschlußreich, findet sich hier doch ebenfalls – vor allem auf der Stirn – eine pastose Angabe der Falten, allerdings mit einem sicheren Gespür für die damit zu schaffende Anatomie und Plastizität des Kopfes. Die Pinselarbeit faßt in diesem Fall den visuellen Eindruck zu einem kompakten Ganzen zusammen, im Kasseler Gemälde zerfasert sie ihn. Die Kulmination der Faltendarstellung („wie in Farbe geknetet“, Wilhelm von Bode) geht nicht mit einer Steigerung der artistischen Möglichkeiten einher.
In der Kasseler Sammlung vereinte Landgraf Wilhelm VIII. eine ganze Reihe von rembrandtesken „Tronies“ als Werke des Meisters. Bei annähernd gleichen Datierungen sind sie für heutige Kritiker untereinander so heterogen, daß sie der Betrachter vielleicht als unterschiedliche Experimente eines Künstlers, eher aber noch als Werke verschiedener Künstler aus einer Schule auffassen muss. In ihrer Vielfalt sind sie auch heute noch attraktive Zeugnisse von Rembrandts Werk und Wirkung.

(G. J. M. Weber, 2006)


Inventare:
  • Catalogue des Tablaux. Kassel 1749, S. 53, Nr. 555.
Literatur:
  • Causid, Simon: Verzeichnis der Hochfürstlich-Heßischen Gemälde-Sammlung in Cassel. Kassel 1783, S. 53, Kat.Nr. 63.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Versuch eines Verzeichnisses der kurfürstlich hessischen Gemälde-Sammlung. Kassel 1819, S. 51, Kat.Nr. 309.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Verzeichniß der Kurfürstlichen Gemählde-Sammlung. Cassel 1830, S. 58, Kat.Nr. 355.
  • Auszug aus dem Verzeichnisse der Kurfürstlichen Gemälde-Sammlung. Kassel 1845, S. 38, Kat.Nr. 355.
  • Aubel, L.; Eisenmann, Oscar: Verzeichniß der in der Neuen Gemälde-Galerie zu Cassel befindlichen Bilder. 2. Aufl. Kassel 1878, S. 33, Kat.Nr. 355.
  • Eisenmann, Oscar: Katalog der Königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. Nachtrag von C. A. von Drach. Kassel 1888, S. XLII Anm. 2), 138, Kat.Nr. 211.
  • Bode, Wilhelm; Hofstede de Groot, C. (mitwirkend): Rembrandt. Beschreibendes Verzeichniss seiner Gemälde mit den Heliographischen Nachbildungen. Geschichte seines Lebens und seiner Kunst. Paris 1897-1901, S. 155-156 (Bd. 2), Kat.Nr. 137.
  • Voll, Karl: Die Meisterwerke der königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. München 1904.
  • Gronau, Georg: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Cassel. Berlin 1913, S. 52, Kat.Nr. 233.
  • Moes, E. W.: Het Kunstkabinet van Valerius Röver te Delft. In: Oud Holland 30 (1913), S. 4-24, S. 7, 17, Kat.Nr. 39.
  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 62, Kat.Nr. 233.
  • Luthmer, Kurt: Staatliche Gemäldegalerie zu Kassel. Kurzes Verzeichnis der Gemälde. 34. Aufl. Kassel 1934, S. 22, Kat.Nr. 233.
  • Benesch, Otto: Rembrandt. Werk und Forschung. Wien 1935, S. 13, Kat.Nr. dG. 272/3.
  • Bredius, A.: Rembrandt Gemälde. Wien 1935.
  • Voigt, Franz: Die Gemäldegalerie Kassel. Führer durch die Kasseler Galerie. Kassel 1938, S. 18-19, Kat.Nr. 233.
  • Vogel, Hans: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. Kassel 1958, S. 117, Kat.Nr. 233.
  • Vogel, Hans: 45 Gemälde der Kasseler Galerie. Kassel 1961, S. 56.
  • Bott, Gerhard; Gronau, Georg; Herzog, Erich; Weiler, Clemens: Meisterwerke hessischer Museen. Die Gemäldegalerien in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden. Hanau 1967, S. 115.
  • Herzog, Erich: Die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel. Geschichte der Galerie von Georg Gronau und Erich Herzog. Hanau 1969, S. 27.
  • Schnackenburg, Bernhard: Gemäldegalerie Alte Meister Gesamtkatalog. Staatliche Museen Kassel. 2 Bde. Mainz 1996, S. 229.
  • Weber, Gregor J. M. u. a.: Rembrandt-Bilder. Die historische Sammlung der Kasseler Gemäldegalerie. Ausstellungskatalog Staatliche Museen Kassel. München 2006, S. 137-141, Kat.Nr. 15.
  • Rehm, Stefanie: Die Rekonstruktion eines spektakulären Ankaufs im Jahr 1750. Landgraf Wilhelm VIII. und die Sammlung Röver aus Delft. In: Museumslandschaft Hessen Kassel. Jahrbuch 2016 (2018), S. 216-225.
  • Manuth, Volker; Winkel, Marieke de; Leeuwen, Rudie van: Rembrandt. Sämtliche Werke. Köln 2019.


Letzte Aktualisierung: 22.11.2021



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